Verstieß die Stadtratssitzung gegen die bayerische Gemeindeordnung?

Der OB-Kandidat der Ingolstädter SPD, Christian Scharpf, sieht in der nicht-öffentlichen Diskussion über die öffentliche Tagesordnung im Ingolstädter Stadtrat einen Verstoß gegen die Gemeindeordnung des Freistaats Bayern.

Dazu teilt Christian Scharpf folgendes mit:

Dass aus Angst Fehler passieren ist menschlich. In der Presse-Berichterstattung über die Stadtratssitzung vom 24.10.2019 ist zu lesen, dass die Beratung über die öffentliche Tagesordnung sowie über den Dringlichkeitsantrag der Grünen in nicht-öffentlicher Sitzung beraten worden ist.

Das ist ein klarer Rechtsverstoß gegen die Geschäftsordnung des Stadtrats und die Gemeindeordnung des Freistaats Bayern. Nach Art. 52 GO gilt der Grundsatz der Öffentlichkeit. Sobald die Sitzung eröffnet ist, wird im Stadtrat praktikablerweise zuerst der nicht-öffentliche Teil der Tagesordnung (TO) nicht-öffentlich beraten. Dann wird die Öffentlichkeit hergestellt und über den öffentlichen Teil der TO sowie über Nachprüfungs- oder Dringlichkeitsanträge beraten. Das ist so nicht erfolgt.

Beim Dringlichkeitsantrag der Grünen zum Thema Kammerspiele hätte in öffentlicher Sitzung zunächst die Frage der Dringlichkeit erörtert werden müssen. Wortmeldungen sind nur zur Dringlichkeit, nicht zur Sache zulässig. Ergibt die juristische Einschätzung, dass keine objektive Dringlichkeit gegeben ist, hätte anschließend – wiederum in öffentlicher Sitzung – darüber abgestimmt werden müssen, ob er als Antrag zur dringlichen Behandlung auf die TO gesetzt wird. Falls der Stadtrat der Behandlung zustimmt, stellt sich erst dann die Frage, ob die inhaltliche Sachbehandlung des TOPs in öffentlicher oder nicht-öffentlicher Sitzung erfolgen muss. Ich sehe im Antrag der Grünen sachlich-inhaltlich keinen Aspekt, der für eine Geheimhaltung spricht. Hätte der Stadtrat einer Behandlung zugestimmt, hätte diese in öffentlicher Sitzung stattfinden müssen. Das Argument, dass potentiell geheimhaltungsbedürftige Fragen zur Sprache kommen könnten, greift daher nicht. Die Nichtbeachtung des Öffentlichkeitsgrundsatzes ist ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung des Stadtrats und gegen die Gemeindeordnung. Wenn es bei einem Tagesordnungspunkt (TOP) Zweifel gibt, muss der unproblematische Teil öffentlich behandelt werden. Der kritische, geheimhaltungsbedürftige, Teil ist in nicht-öffentlicher Sitzung zu behandeln.

Zur Wahrung der Objektivität zitiere ich nachfolgend bewusst nicht den GO-Kommentar von Widtmann/Grasser/Glaser, bei dem ich Mitautor bin, sondern gebe auszugsweise Bauer/Bloeck/Mühlbauer u.a., PdK, GO-Kommentar wieder. Zu Art. 52 wird u.a. ausgeführt:

Die Öffentlichkeit der Sitzungen ist als ein tragender Grundsatz des gesamten Kommunalrechts anzusehen. Er ist ein konstituierender Grundsatz des demokratischen Rechtsstaats, der in der Bundesrepublik auf allen Ebenen der Staatsorganisation gilt. Der Grundsatz dient dem öffentlichen Interesse und schützt ausschließlich dieses Interesse. Im Kommunalrecht ist der Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit nicht nur ein Mittel, das Interesse der Bürgerschaft an der Selbstverwaltung zu wecken und zu erhalten sowie die Volksverbundenheit der Verwaltung zu gewährleisten, sondern hat vordergründig die Funktion, die Gemeinderatsberatungen und -entscheidungen transparent zu machen, d. h. dem Gemeindebürger Einblick in die Tätigkeit des Gemeinderats und seiner einzelnen Mitglieder zu verschaffen, so dass sie für ihn nachvollziehbar ist, und diesbezüglich wie bei den parlamentarischen Gremien den Gemeinderat der allgemeinen Kontrolle der Öffentlichkeit zu unterziehen und dazu beizutragen, der unzulässigen Einwirkung persönlicher Beziehungen, Einflüsse und Interessen auf die Beschlussfassung des Gemeinderats vorzubeugen; es soll so bereits der Anschein vermieden werden, dass „hinter verschlossenen Türen“ unsachliche Motive für die Entscheidung maßgebend gewesen sein könnten.

Fazit:

Öffentlichkeit soweit wie möglich, Nicht-Öffentlichkeit nur soviel wie nötig. Die Sitzungsleitung hat diese Grundsätze in der gestrigen Sitzung auf den Kopf gestellt.

Es wäre im Sinne des Rechtsfriedens sowie des Klimas im Stadtrat sehr wünschenswert, wenn nicht versucht werden würde, unliebsamen Diskussionen mit juristischen Winkelzügen aus dem Weg zu gehen.